Vorwort
Wir feiern »20 Jahre Gewaltschutzzentrum Steiermark« – zwanzig Jahre voller Lebensgeschichten, die wir ein Stück begleiten durften und mit diesem Buch würdigen. Über 30.000 Opfer, großteils Betroffene von häuslicher Gewalt, haben wir in dieser Zeit unterstützt und begleitet.
Dass wir ein Buch produzieren, war nicht geplant. Angefangen hat alles damit, dass sich im Laufe der Jahre Unmengen von Papierakten angehäuft haben, die einen großen Raum ausfüllten. Papier, gefüllt mit Lebensgeschichten von Menschen, die Unsagbares erlebt haben. Diese »Akten« einfach so zu vernichten, schien uns unwürdig, gefühllos und geringschätzig. Den Klientinnen und Klienten gegenüber, aber auch unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber. Daher haben wir beschlossen, uns davon zu »verabschieden« und damit etwas Besonderes zu gestalten. Irgendetwas. Möglicherweise eine Ausstellung, eine Installation oder eine Lesung. Letztendlich haben wir uns entschieden, die Eindrücke und Begegnungen mit den Menschen und das uns Anvertraute in Form literarischer Beiträge zu würdigen und ein Buch zu schreiben. Basis dafür sind tausende anonymisierte gerichtliche Anträge auf Erlassung einstweiliger Verfügungen nach dem Gewaltschutzgesetz, sogenannte »Betretungs-, Rückkehr- und Kontaktverbote« von gewalttätigen Menschen aus dem Umfeld der Opfer, gesammelt in den vergangenen zwanzig Jahren. Dabei wurden die Gewaltvorfälle, oft stundenlang gemeinsam mit den Opfern, die zurückversetzt in die dramatischen Stunden des Erlebten eintauchten, von den Beraterinnen und Beratern detailliert aufgeschrieben, um das Erlebte für das Gericht tröstend, begleitend und übersetzend in eine juristische Sprache »herüberzuschreiben«. 99 Prozent der Anträge wurden vom Gericht bewilligt, also für wahr befunden. Diese gerichtlichen Anträge galten folglich als Impuls für dieses Buch; zwanzig Autorinnen und Autoren hatten völlige Freiheit in der Ausfaltung der Texte. Sie bekamen die Möglichkeit, sich mit den Rollen von Opfern, Tätern und Täterinnen genauso auseinanderzusetzen wie mit den Ursachen und unmittelbaren wie langfristigen Folgen von Gewaltexzessen. Das bedeutet, dass die Schilderungen der Opfer eine zweimalige Transformation durchliefen und daraus eine Anthologie von ausgewählten literarischen Texten, Gedichten, Prosa, Graphic Novels entstand, die sich durch eine hohe Diversität an literarischen Formen und kreativen Beiträgen auszeichnet. Dadurch konnte dieses einzigartige Buch entstehen. Für die Unterstützung bei der Durchführung dieses Projektes bedanke ich mich herzlichst bei Max Aufischer von der Kulturvermittlung Steiermark und Birgit Pölzl vom Kulturzentrum Minoriten sowie bei allen Literatinnen und Literaten.
Weiters lieben Dank an meine Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Marion Egger und Gabriele Payerl-Gerstmann, die mit leidenschaftlichem Engagement an diesem Buch mitgewirkt haben, sowie an meinen Bruder Edgar für seine Zeichnungen. Die Umsetzung des Buches hat große Freude gemacht und ist ein Ausdruck der besonderen Jahre, die alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Klientinnen und Klienten im Gewaltschutzzentrum gemeinsam erlebt haben.
Marina Sorgo-Loidl (Gründerin und Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Steiermark)